„Wetten, dass…?“ pulverisiert die Konkurrenz

Top-Quoten und ein fulminantes Comeback des linearen Fernsehens. So war die Sendung am 06.11.2021.
Veröffentlich am 7. November 2021 und aktualisiert am 20. Januar 2022
Thomas Gottschalk auf der Bühne von "Wetten, dass...?" am 6. November 2021 in Nürnberg; Rechte: ZDF
Thomas Gottschalk auf der Bühne von „Wetten, dass…?“ am 6. November 2021 in Nürnberg; Rechte: ZDF

Samstag Abend. 20:15h. ZDF. „Wetten, dass…?“. Oh, ja. Das lineare Fernsehen ist zurück.
Und da war er wieder, der alternativlose, der einzigartige…

der Gottschalk.

Seit man ihm den großen Samstag Abend weg genommen hat, zog er wie ein Ronin durch die karge Tiefebene der TV-Landschaft. Aber für ihn waren es fruchtbare Jahre. Die vielen Jahrzehnte des öffentlich-rechtlichen Dauer-Ablieferns hatten ihn müde und tranig gemacht. Die Zeit in der kargen Freelancer Wildnis hingegen hat die Sinne geschärft, die Zähne gewetzt. Da loderte es wieder auf, das Feuer zu unterhalten, besser zu sein. Die Gagdichte wurde hochgeschraubt und das Amalgam aus Enttäuschung, aus dem Verstoßen-Sein und der wachsenden Scheißegal Einstellung, die sich so wohlig mit dem Alter einstellt, all das hat einen Supermoderator, den Showmaster gebacken.

Und dann 4 Minuten standing ovations beim Betreten der Halle. Das Publikum will mich noch. Er hatte es vergessen und die Nörgler und Twitter-Trolle hatten es ihm so lange eingetrichtert, bis er es fast geglaubt hatte. Aber im Schwall des Applauses war all das weggespült. Über Reinreder und Wichtigtuer hinweg wurde wieder direkt angedockt mit dem echten Chef am Drücker, dem Zuschauer. Die Bühne war bereitet, zur Verzwergung der gesamten Medienlandschaft, von F wie Helene Fischer bis K wie Joko und Klaas. In unverwechselbarem Hühnen-Geschlurfe baute sich der blondgelockte Entertainer-König immer wieder zur Ansage der nächsten Wette im Vordergrund auf. Verdeckt und vergessen waren die Azubis auf der Bank.

Es gibt so eine Ansicht in der Wirtschaft: „Startups könnten alles besser“. Das wurde mal irgendwo gesagt. Ein alter weißer Mann in eben jener irgendwo Runde nahm das mit einem süffisant-feinen Lächeln, wie es eben manchmal nur Silberrücken können, und erwiderte, es gäbe sicher Dinge, die Startups gut können – hingegen gebe es andere Dinge, die eben große Firmen gut können. Boom.

Pft! Das Ungestüm der Jugend eben. Man weiß immer alles besser. Und so zeigte es sich dann: Es gibt Dinge, die können die Privaten, die wilden, die jungen Sender und Formate gut. Okay. Und es gibt Dinge, die können große Sender gut. Große Dinge eben.

Und was waren das für Dinge. Da kommen Benny und Björn von ABBA. Der heiße Scheiß der letzten Woche. Ja. Zumindest, wenn man ihren Einfluss auf die Musikgeschichte einzuschätzen vermag. Das Projekt Voyage scheint noch obskur, aber trotzdem: die Popgötter lassen sich herab. Und wo landen sie? Welcher Show sagt das PR Team um die Schweden zu? Wann steigt man in den Flieger, auch wenn man eigentlich nicht reisen möchte aber dann eben doch zumindest einen Termin in Deutschland machen muss? Genau. Wenn das Dickschiff landet. Wenn der ZDF Tanker fahrt aufnimmt. „Wetten, dass…?“. Da geht man hin. Zum Thomas. Sonst zu keinem.

Wo sitzt Helene Fischer wie eine Sterbliche auf der Couch? Eben. Bei dem Mann, der Heidi Klum quasi erfunden hat. (Ja, Google das.) Heino Ferch und seine Schauspielkollegin Svenja Jung, Ulli Edel und der Berben – Vertreter des Filmadels in Germany. Sind da. Klar. Und witzig: Joko und Klass sitzen ebenfalls da. Die, die man sogar als Nachfolger gehandelt hat. Die, die im Grunde die Variationen von „Wetten, dass….?“ und „Der Grosse Preis“ auf Pro7 durch-deklinieren. Sitzen da, ein bisschen wie Schuljungs, fanboys, obwohl sie gefühlt jetzt schon ewig da sind. Sitzen da, aber eben doch voller Bewunderung. Echter Bewunderung – so echt, wie man es von den Ironie- und Metadiskurs-Kanonen fast nicht kennt aber sich öfter wünscht. Gottschalk erkennt das natürlich, kann es nicht lassen und unterstreicht sein Lehrstück genussvoll. So geht das, Jungs.

Wer auch immer dafür verantwortlich war, dass die Show so pur daher kam, verdient das Bundesverdienstkreuz. War es der Regisseur des Abends, Frank Hof? Oder Gottschalk, der vielleicht gesagt hat, „ich mach das nur, wenn…“? Oder der Programmdirektor Norbert Himmler, der im königsblauen Zwirn in erster Reihe zu alldem ungläubig strahlte?

In jedem Fall war die Vorgabe, die Show von jeglichem Tand zu befreien, genial. Keine Influencer Sidekick Einstreuungen auf der Bühne. Keine Botox Injektion an der falschen Stelle. Keine neumodischen oder App-igen Veränderungen der gewohnten Wetten Dass Showidee. War Michelle Hunziker nicht schon immer dabei? Ist doch egal, welche Häutungen die Show im Laufe der Jahre durchlaufen hat. Lippert, Lanz, selbst Elstner himself. Hinter dem Ding tritt die Person dann doch zurück. Entscheidend ist, woran man sich erinnert und wie man meint, das „Wetten, dass…?“ so war. So muss das.

Und so kam es.

Man liest, es habe Längen gegeben. Wo denn? Man liest, es hätte gern kleinere Modernisierungen geben können? Ach ja, welche denn? Tweets vorlesen mit Brigitte? Oder durchratternder Chat am Rand? Wohl eher nicht.

Und das Publikum, das es ja angeblich nicht mehr gibt… es kam. Reichlich. Und pulversierte den restlichen Fernsehmarkt und alle bisher gewohnten Einschaltquoten. Über 50% Marktanteil in der relevanten Zielgruppe. Fast 50% Marktanteil insgesamt. Und über 13 Millionen Menschen schauten zu. Das ist viel.

Da fällt den Kids das Tablet aus der Hand und der über den second screen gebeugte Erziehungsberechtigte wundert sich. Ja, die Show verlangt ihre Aufmerksamkeit. Fokussieren bitte! Nur so kann sich der vielfach geforderte Lagerfeuer-Moment einstellen. Sorry. Einfach mal ausschalten zum Einschalten zum Abschalten.
Power on, und zwar für das lineare Fernsehen, das man nicht auf ‚Externer Eingang Nummer Sowiso‘ erst booten muss, sondern das, das einfach da ist. Umweltfreundlicher als Streaming, weil Broadcast. Billiger, weil ohnehin schon bezahlt. Einfach mal wagen, das Lineare. Da gibt sich selbst Netflix geschlagen und tweetet, das heute sicher keiner ins Netz kommt. Glücklich war, wer sich darauf einlies, es zufällig beim Rumzappen gefunden hat oder einen nudge im Netz bekommen hat. Es hieß teilhaben, an diesem Samstag, an deutscher TV-Geschichte.

Immer heißt es, das traditionelle Fernsehen sei tot, und Streaming sei die Zukunft. Das sähe man an den Einschaltquoten! Aha. Aber ist es nicht vielleicht anders herum? Ist das traditionelle Fernsehen nicht deshalb tot, weil es dort nichts mehr zu sehen gibt?
Und hat man sich es nur gemütlich gemacht in dieser Erklärung, der Unterstellung, es läge am Wandel der Zeit? Statt die Ursache zu erkennen – was weit unbequemer wäre.

In den letzten Tagen ergab eine repräsentative Umfrage, dass etwa 50% der Deutschen „Wetten, dass…?“ wieder im TV sehen wollen. Und das war vor der Live-Sendung! Die hätte übrigens auch ein Fehlschlag werden können. Aber jetzt. Was ist jetzt? Wer die Show gesehen hat, wer viel gelacht und sich gut unterhalten gefühlt hat – der will sicher mehr. Kann das klappen? Frank Elstner war da bestimmt auf dem richtigen Pfad, wenn er in der Show eine Ausgabe einmal pro Jahr andachte.

Ein TV Event epischen Ausmaßes, eben eines, wie „Wetten, dass…?“ an jenem 06.11.2021 zum 40zigsten Jubiläum der Show. So etwas kann es nicht jede Woche geben. Die beteiligten könnten es nicht ohne Ermüdung und zwangsläufig eintretendem Mangel an Einfällen liefern. Und auch das Publikum würde ermüden, sich abwenden, genug haben. Weihnachten ist ja auch nicht jede Woche. Irgendwann ist dann immer gut mit Spekulatius. Da wird einem ein bisschen Bange, ob diese Wette in Zukunft gut geht. Für viele Verantwortlichen war das nämlich ein Zufallstreffer. Safe. Schiffbruch. Incoming. Pls Gottschalk, halt dich da raus oder verwalte das weise.

Abspann

Wer am Samstag nach der Show beseelt von so viel Spaß einfach im Sessel liegen geblieben ist, der war zurückgeworfen auf die Tristesse des deutschen Fernsehprogramms. Und wer die Fernbedienung traditionell belegt hat, der schaltete hoch: über WDR, RTL, SAT1, VOX… und landete auf der Sieben. Und was läuft da? Joko mit „Wer stiehlt mir die Show“. Und wer sitzt da? Echt jetzt? Gottschalk.

Eine Aufzeichnung. Und da isser. Der Freelance Gottschalk. Wir erleben, wo er eben so abgebrüht und noch tiefenentspannter wurde. In den ungezählten Programmstunden auf RTL und PRO7. Es wird dann zwingend. An diesem Fernsehabend läufts eben für den König. Fabricated? Niemals! Unausweichlich ist das. Erst muss Palina das Feld räumen, dann der Wildcard Marco und Elyas. Im Duell mit Joko selbst entscheidet dann Schulwissen und die Gretchenfrage (!) über die Show! LOL. Gottschalk gewinnt.

Und so konnte man sich verdutzt die Augen reiben, wenn an einem Samstag Abend in 2021 mal wieder etwas 1987 ist und Thomas Gottschalk gleich zweimal die Show übernimmt und sich Fernsehdeutschland untertan macht. Schön wars. So richtig.
Manchmal heißt es – und es könnte durchaus sein, dass das nur für Lummerland gilt: Viele Köche, Demokratie eben, Abstimmen und so… seien ja ganz schön…, aber nichts geht über einen guten König. Nun, für das Fernsehland gilt das seit gestern bestimmt, oder zumindest ein bisschen mehr.

Wetten, Dass…?

(Wer das Spektakel verpasst hat: Diese Ausgabe von „Wetten, dass?“ gibt es noch einige Zeit in der Mediathek.)

Update vom 16.01.2022
Zu Beginn des Jahres wurde nun bekannt, dass das ZDF die Show zu einem einmal im Jahr stattfindenden Event macht. Gottschalk wurde bereits für die Ausgabe in 2022 und 2023 verpflichtet.