„TV total“ Neuauflage mit Sebastian Pufpaff

Die Sendung "TV Total" auf ProSieben ist zurück, ohne Raab und im retro Gewand. Ist das sehenswert?
Veröffentlich am 10. November 2021 und aktualisiert am 26. Januar 2022
Sebastian Pufpaff am Schreibtisch der TV Total Neuauflage; Quelle: ProSieben
Sebastian Pufpaff am Schreibtisch der TV Total Neuauflage; Quelle: ProSieben

Knossi nennt ihn offenbar lieber „Piff Paff Puff“, aber mit der Neuauflage von „TV total“ im Hauptprogramm von Pro7 setzt der Sender aus Unterföhring und Stefan Raabs Raab TV eben doch alle Chips auf Pufpaff und nicht auf Jens Knossalla – den lässigen Newcomer im Fernsehen. Mit Erfolg?

So war die erste Folge „TV total“ 2.0

Es war viel beim alten. Selbe Band, sehr gleiche Studiodeko, fahrbarer Schreibtisch. All das. Eine vielsagende, wenn auch subtile Änderung ist wohl, dass die Videowand hinter dem Moderator jetzt nicht mehr 4:3 sondern 16:9 ist. Allerdings wurde das nicht gleich sichtbar, denn die Einspieler wurden garniert mit Clips aus dem Brainpool Archiv, die, der Bildqualität nach, noch alle von VHS kamen.

Nach der ersten Viertelstunde TV total hatte man dann wieder kapiert, wie das so geht in dieser Sendung. Ziel u.a. der ersten Ausgabe: man wollte sich am Erfolg der Jubiläumsausgabe von „Wetten, dass… ?“ abarbeiten und das mit eher ätzendem, als cleverem Humor. Ach ja, so war das immer bei TV total…

Wie verhält sich die (vermutete) Zielgruppe?

Nutzte man die erste Werbeunterbrechung um nachzusehen, welche Auswirkungen dieses gefühlt wichtige TV Ereignis auf die Zuschauerzahlen auf der angesagten Streamingplattform Twitch hat, so war man überrascht:
Kurz vor Beginn der Sendung streamte MontanaBlack88 zu ca. 72 Tausend Zuschauern, Trymacs zu ca 25 Tausend und Rewi zu 5,5K Zusehern. Mit Beginn der Sendung um viertel nach Acht sinken Montes Zuschauerzahlen auf ca. 67K, während Rewis und Trymacs Zahlen quasi konstant bleiben. Hat das etwas mit TV total zu tun?

Nach etwa 20 Minuten Sendung TV total und der Erkenntnis, dass da nicht viel bahnbrechendes passiert, geht es dann in die erste Werbeunterbrechung. Montes Zahlen sind wieder auf über 73K gestiegen, Trymacs auf 28K und Rewi ist konstant bei 5,5K.
Man könnte also annehmen, dass die „Twitch-Konsumenten“ und die „lineares Fernsehen TV Total Gucker“ nur eine winzige Überschneidung haben – oder, wenn die Zielgruppen sich schon ähneln, sich aus dieser Gruppe nur wenige für TV total interessiert haben – oder sich das neue TV total an eine ganz andere Zielgruppe wendet, eine ältere, fernseh-sentimentale, die nicht viel mit Twitch, YouTube und Co. am Hut haben.

Zweites Drittel „TV total“

Nach der Werbung, und damit nach dem Stand-Up part, hieß es für Sebastian Pufpaff am Schreibtisch Platz zu nehmen und mit lustigen Ausschnitten weiter zu machen. Was auffällt ist, dass die Clip-Parade viel Ähnlichkeit mit dem hat, was man als Fail und Prank Videos aus dem Netz kennt. Damals, in den 90zigern, in einer Zeit von den meist betulichen „Pleiten, Pech & Pannen“-Videos, war „TV total“ eine „Spur härter“ – schneller, beißender und rüpelhafter. Das war irgendwie neu. Heute, mit YouTube-Memes und Highlight Kanälen die von billig-aus-der-Hüfte-geschossen bis echt-ausgefuchst alles abdecken, ist das irgendwie old.

So bleibt von diesem zweiten Teil der Sendung nur hängen: 1. Man hat versucht, den Schlager, seine Fans und die zugehörigen Shows irgendwie in eine faschistische Ecke zu schieben. 2. Es war wichtig, den Bild TV Kanal und sein Personal zu attackieren, um beim kürzlichen Chefredakteur-Ding nachzutreten. Garniert wurde das mit dem Verlachen eines unbeteiligten Zuschauerpärchens bei Wetten Dass.

Symptomatisch: der verunglückte Prank

Im letzten Drittel der Show versuchte man sich dann an einem Scoop à la Magazin Royale und deren #Verafake. Die Idee: wir schleusen uns bei der ZDF-Show ein und schleichen uns auf Tommys Couch. Tja, da wäre man gern… Also, gesagt getan. Ausgestattet mit „der (nerv) Stimme“ als Kommentator, gefälschtem ZDF Mikrofon-Zwelch und Logo an der orangenen Jacke zum Angriff auf arme kleine Angestellte. Die Überraschung: trotz dreistestem und hartnäckigem Lügen, schaffte man es nicht die vermuteten Deppen, die sich als nicht ganz so deppert herausstellten, zu überrumpeln. Am Ende musste man unter Schimpf und Schande das Gelände verlassen. War nix mit der Prinzessin Beatrix Gedächtnis-Nummer.
Dass damit die breitbeinig aufgestellte neue Show zum Zaungast des echten großen TV-Erfolgs der letzten Woche wurde, ist eine Ironie, die den Beteiligten wohl entgangen ist. Man hätte sich den Einspieler besser gespart.

Was bleibt von dieser Neuauflage?

Im Bavaria Filmpark gibt es diese Kulissen, in denen Parkbesucher sich als Moderatoren versuchen können. So mit Kamera und Vorlesetext. Das Ergebnis ist immer etwas seltsam, unecht. Eben dieses Gefühl bekam man bei diesem TV total. Der Moderator Sebastian Pufpaff und das Format wollten einfach nicht so recht zusammen passen. Er wirkte hingesetzt – obgleich er sich redlich bemühte und die Sendung routiniert und gefordert überdreht abgeliefert hat. Es ist wohl wie mit diesen ausgelatschten Sesseln: abgelegte Sachen eines Anderen. Ein Hoffnungsschimmer bleibt aber noch, denn in dieser Ausgabe waren noch keine Gäste geladen. Es ist zu erwarten, dass Pufpaff sich im Talk gut schlagen wird und verkorksten Einspiel-Gags so weniger Raum gegeben werden kann.

Ein Problem ist aber wohl die Herangehensweise der Sendung selbst. Fragt man die Zuschauer, so sind die Erinnerungen an TV total sicher unterschiedlich. Aber öfter als die reichlich ausgeteilten Tiefschläge, würden sicher die großen Momente der Show genannt werden. Die Musikmomente. Es waren oft Stars aus aller Welt zu Gast. Große Stars. Raab verwickelte Popstars mit kindsköpfigem Charme immer wieder in improvisierte und am Ende legendäre Mini-Konzerte. Es war das in Details zu Tage tretende große Entertainment, das TV total zu mehr machte, als einer „Austeilshow“.

Nicht zu vergessen auch die großen Raab TV Events. Mit der Magazinsendung als Inkubator war der Erfolg der Spin-Offs immer untrennbar mit der Sendung verbunden und strahlte ins kleine Studio zurück. Oder die erinnernswerte Sondersendung vom Times Square in New York. Hier schien die Leidenschaft für echtes, gutes, großes Fernsehen mit klassischer Geste auf. Qualitätsfernsehen. Das neue TV total, zugegeben, nach Ansicht der heute allerersten Folge, kehrt vor allem zu dem zurück, das wohl nur wenige lieb gewonnen hatten: Das „Rumgeätze“, der Fernsehpranger, an dem Versprecher oder Blackouts von (z.B. im vorgenannten Bild TV Fall, jungen) Kollegen gnadenlos mit Inkompetenz gleichgesetzt werden. Seltsamer move zum Schluss: man fährt auch noch den für TV total gerade ins Nachtprogramm verschobenen Kollegen Zervakis und Opdenhövel an die Karre. Autsch! Hat ProSieben das wirklich so bestellt?

Wie fing das denn alles nochmal an?

TV Total erneut auf Sendung ist eine seltsame Sache. Ist es wirklich einem „retro Trend“ zu verdanken, den man in „Zervakis & Opdenhövel“ im Anschluss um 21:22h vermutet? Das hin und wieder angeführte Corona-Biedermeier?

Die Überraschung war groß, als sich Ende 2020 Raab nicht bei ProSiebenSat.1 sondern im Bertelsmann-Reich RTL zurückmeldete. Zunächst als Versuchsballon in der Streamingsparte tvnow gestartet, hob RTL die neue Raab-Sendung dann im Januar 2021 ins lineare Programm. „Täglich Frisch Geröstet„, von Anfang an, in Erwartung einer langen Lebenszeit, gern als „TFG“ abgekürzt, war eine Late-Night Show, dicht angelehnt an das alte Pro7 „TV total“. Elemente, Zielgruppenausrichtung, sogar das Team – das alles war nicht geändert worden. Nur das Studio ließ den angestaubten orangen 90er Charme hinter sich und hatte etwas mehr glitzernde Grandezza. Einziges neues Element sollte vermutlich die Idee werden, jede Sendung mit einem wechselnden Moderator zu bestreiten – daher auch der Titel der Sendung mit „Täglich frisch…“. So richtig klappen wollte das aber nicht und so beerdigte man die Idee nach 9 „Versuchsmoderatoren“.

Raab setzte auf Knossi

Die Moderatorenparade der ersten Staffel zeigte zwei Dinge: Moderieren scheint nicht gaaanz so einfach und taugt nicht zum Running-Gag. Und zweitens: der ehemalige Pokermoderator, TV enfant terrible und Entertainment Tausendsassa Jens Knossalla lässt die anderen wie Anfänger wirken. Jahrelanges „Durchschlagen“ in Gameshows, 9Live erprobte Beharrlichkeit und eine in ungezählten (wie auch von einer breiteren Öffentlichkeit ungesehenen) Programmminuten trainiertes Interview- und Labergeschick machten Knossi offenbar auf die Schnelle alternativlos für Raab, man könnte auch denken zur Rettung. Mit dem Turbo aus Knossis genau zu diesem Zeitpunkt saftigen Twitch Follower Gemeinde und einem Social Media Fußabdruck wie Bigfoot nickte man das offenbar auch gerne ab bei RTL und ging mit dem Streamingstar auf die restliche Langstrecke bis zum Ende der von RTL gekauften ersten Staffel mit 30+ Folgen.

RTL zieht bei „TFG“ den Stecker

Aber dann das Undenkbare. Ein Wechsel im Management, ein unausgegorenes oder eingestaubtes Konzept oder eine zu B-prominent trashig ausgerichtete Gäste-/Zielgruppenzusammensetzung – was auch immer der Grund gewesen sein mag… RTL zieht den Stecker. Impressive. RTL hat die Chuzpe das neue Raab Ding, die extra für die Ewigkeit teuer gebaute Deko, all das einfach so mit Bertelsmännischer Kaltschnäutzigkeit nach objektiver Betrachtung der Zahlen in die Tonne zu treten. Slow Clap.

Knossi selbst hatte immer wieder erzählt, dass nach Raabs Einschätzung TFG der letzte Versuch des linearen deutschen Fernsehens sei, eine große Late-Night Show zu etablieren. Aber offenbar wurde da nicht jede Story verraten.
Erst gestern erzählte Knossi im Stream (derzeit noch als VoD auf Twitch verfügbar, ab Laufzeit 00:22:00), dass er schon zu TFG Zeiten von den Planungen für TV total 2.0 wusste. Es Gespräche gab… und er… nun ja, froh ist… den Druck nicht haben zu müssen.

Nach der erstem Ausstrahlung vom neuen TV total ist es für ein ganz abschließendes Urteil sicher noch zu früh. Aber die Alarmglocken sind schon an. Man fragt sich, ob Knossi nicht genommen wurde – oder er womöglich abgelehnt hat. Das Ding ist ein Schleudersitz. Da ist das selbstbestimmte und immer relevanter werdende Live-Streaming sicher eine feine Alternative.

Die vielsagende Story zum Schluss: Nur wenige Minuten nachdem der TV total Abspann auf dem Sender durch war (tatsächlich ein paar Minuten früher, aber im Sinne der Anekdote egal) ging Knossi auf Twitch live. Thema: GTA V Roleplay Nachbesprechung, „GTA Repay“ und „Theo van Alge“ eben. Lineares Fernsehen? TV total? Piff Paff Puff?

Kein Wort davon.

Update:
Am 26.01.2022 kommentierte Knossi in seinem Abendstream TV Total: „Egal, wer das moderiert. Und wenn das Stefan Raab selbst moderiert (…) dieser Humor funktioniert nicht mehr (…) dieses 90er, Anfang 2000er Fernsehen funktioniert leider schlecht, weil wir vollgebatscht sind, mit Memes und Internet. Diese geschriebenen Gags, ist schwer. (…) Selbst wenn Stefan Raab’s machen würde, würde das nicht mehr funktionieren (…) würde ein, zwei, drei Mal funktionieren, aber in der heutigen Zeit: nicht mehr.“